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"Trash Island gibt es nicht!"
Interview mit dem Philosophen, Gesellschaftskritiker und Skandal-Autor Walter Loterbecq ("Tod eines Politikers", Urschlamm-Verlag, 2002)

Pocus online sprach mit Loterbecq über sein neues Buch "Die Schönen und die Guten. Die Denkfehler der modernen Medien-Gesellschaft" (erschienen im TimeKing-Verlag Berlin, Hrsg. Tino Thinnitus) und die aktuelle weltpolitische Lage.

Walter Loterbecq

Medienkritiker Loterbecq: "Was wissen Sie eigentlich?"

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Pocus online: Herr Loterbecq, Sie fordern ein radikales Umdenken im Umgang mit den modernen Massenmedien. Wie begründen Sie diese Forderung?

Loterbecq: Die Medien gaukeln unserem Gehirn vor, Wirklichkeit zu sein. Sie bestimmen das Denken der Menschen in unserer medienorientierten Gesellschaft. Was wissen Sie eigentlich über Trash Island -- oder über Pinguine und Atomkerne --, das Sie nicht nur durch die Medien gefiltert erfahren haben? Was wissen Sie eigentlich überhaupt? Ich meine, was wissen Sie wirklich, und was glauben Sie nur zu wissen, weil es irgendwer erzählt oder geschrieben hat? Der es seinerseits vermutlich irgendwo gehört oder gelesen hat und es zusätzlich mit seiner eigenen mediengeprägten Meinung vermengt? Die Medien definieren unsere Weltvorstellung, unsere Werte.

Pocus online: Dann bastelt sich quasi jeder sein eigenes, auf seine Interessen abgestimmtes Weltbild?

Loterbecq: Falsch! Genau das ist ja das Problem, dass den meisten Menschen gar nicht bewusst ist, auf wessen Interessen ihr durch Eltern, Schule, Religion und Medien vermitteltes Weltbild abgestimmt ist! Kriege, Kulturkonflikte, Religionskriege und Terror sind die Folgen dieser Naivität. Und dass sich das gleiche Waschmittel besser verkauft, wenn ein anderer Markenname draufsteht.

Es gibt keine Wahrheit mehr. Alles ist nur noch Diskurs.

Pocus online. Was genau verstehen Sie unter Diskurs?

Loterbecq: Werbung ist Diskurs, Politik ist Diskurs, Religion ist Diskurs, Kunst ist Diskurs, jede Art von Weltbild-Vermittlung bzw. -Infragestellung ist Diskurs. Im Grunde geht es darum, wer bestimmen darf, was gut ist und was böse, was schön und was hässlich, was politisch korrekt und was tabuisiert, wofür man ins Gefängnis kommt und wofür in den Himmel. Die Medien fungieren als Vervielfältiger, der in unserer Informations-Overkill-Gesellschaft einen großen Anteil daran hat zu bestimmen, welche Weltsicht, welcher Diskurs sich durchsetzt. Das ist nicht bloß eine akademische Spielerei, dabei geht es um ganz konkrete Dinge wie Geld und Macht.

Pocus online: Welche Bedeutung hat das für unsere Gesellschaft?

Loterbecq: Das führt zu einem grundsätzlichen philosophischen Paradoxon, nämlich, dass die sogenannte Wahrheit, auf der sich unsere "zivilisierte" Gesellschaft mit ihrem Politik- und Rechtssystem begründet, nicht existiert. Politik ist demnach in erster Linie ein Kampf um die Macht zu definieren, die Macht zu interpretieren und Sinn zu stiften, und die eigenen Interpretationen der Dinge durch die Medien zu "Wahrheit" werden zu lassen.

Wir sind die Guten. Und am Ende gewinnen immer die Guten.

Pocus online: Können Sie mal ein konkretes Beispiel nennen?

Loterbecq: Nehmen Sie den Konflikt um Trash Island. Ein kleiner Felsen im Atlantik wird annektiert und die Welt gerät aus den Fugen. Warum?

Ich behaupte, Trash-Island existiert gar nicht. Die Insel ist nur eine Erfindung bestimmter Leute, die daran interessiert sind, aus sehr eigennützigen Gründen ein bisschen Chaos zu stiften, seien es Börsenspekulanten oder die internationale Waffenhändler-Lobby, die man nicht unterschätzen sollte. Auch Präsident Dabbel-Juh profitiert ja von dem Konflikt, wie man in den neuesten Umfragen vor der Wahl in den UnSIN sieht. Natürlich ist die Kriegsrhetorik von Dabbel-Juh kein Zufall oder gar Unfall. Die Geschichte (auch die deutsche) hat gezeigt, dass es ein idiotensicheres Mittel ist, das eigene Volk dadurch auf seine Seite zu ziehen, dass man Krieg gegen irgend jemand anders erklärt. Außerdem dient er ihm offensichtlich als willkommener Vorwand, mit seinem Erzfeind El-Lap Ellip abzurechnen. Ein Präsident, der in Kategorien eines Wildwest-Streifens denkt, kann unberechenbar sein, wenn es den eigenen Interessen dient. Nur kann das in diesem Fall unabsehbare Folgen für die ganze Welt haben!

Pocus online: Ist der moderne, zum selbstständigen Denken erzogene Mensch wirklich so leicht manipulierbar? Ihr Kollege Prof. Dr. Otfried von Schwahnzitz hat in seinem Artikel in der SchwaTz genau diese Sichtweise kritisiert. Er hält die Wahrheit für unverzichtbar.

Loterbecq: Dann denkt der werte Herr Kollege -- mit Verlaub -- offenbar noch in Vorstellungen des vorletzten Jahrhunderts! Die Kantsche Aufklärungs-Utopie hat sich doch längst als Denkfehler erwiesen, und auch Nietzsche, der sicherlich als Vordenker der Postmoderne gewertet werden muss, geht ja noch von einem idealisierten Menschenbild aus, das so nicht mehr haltbar ist.

Um es mal anders zu formulieren: Der moderne Mensch ist demjenigen, der vor 40.000 Jahren auf den Bäumen saß, moralisch nicht wesentlich überlegen. Und offenbar auch nicht klüger. Nur, dank der ihm zur Verfügung stehenden modernen Technik, wesentlich gefährlicher!

Pocus online: Das klingt sehr pessimistisch. Wenn es keine Wahrheit mehr gibt und keine moralischen Richtlinien, woran soll man dann noch glauben? Bedeutet das nicht eine Selbstaufgabe des Denkens? Wenn sowieso alles egal ist, warum dann überhaupt handeln? Und warum nicht mal eben eine Atombombe zünden?

Loterbecq: Natürlich ist das Leben ohne diese beruhigende Scheingewissheit schwieriger. Aber dieses Denken hat auch seine Vorteile: Wenn ich nicht mehr daran glaube, mich im exklusiven Besitz der Wahrheit zu befinden, dann kann ich auch leichter religiöse und politische Propaganda verschiedenster Färbung als solche durchschauen, deren Macher, mal mehr, mal weniger, aber im Prinzip sehr genau wissen, was sie da produzieren. Das ist keine Selbstaufgabe des Denkens, sondern eine Befreiung zum Selbstdenken. <<

Interview: Reginald Hoyer

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